Madīnat al-Zahrāʾ: Kalifales Herrschaftsverständnis und die Entwicklung westislamischer Palastarchitektur
Madīnat al-Zahrāʾ: Die auf mehreren Terrassen angelegte Stadt liegt am Fuß der Sierra Morena, nur wenige Kilometer von Córdoba entfernt. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde ein Teil des Palastbezirks ausgegraben, mehr als 90% der Gesamtstadtanlage liegen jedoch noch unter der Erde. (CC-BY-ND, Madinat al-Zahra Archaeological Site)
Madīnat al-Zahrāʾ wurde im 10. Jh. n. Chr. durch ʿAbd al-Raḥmān III als neue Residenz gegründet, nachdem dieser das Kalifat von Córdoba proklamiert hatte. Historische Quellen berichten davon, dass die Stadt im Rahmen eines großanlegten Bauprogramms in nur wenigen Jahren errichtet und zum Schauplatz kalifaler Machtausübung und diplomatischer Empfänge wurde. Trotz der kurzen Zeit ihres Bestehens bis zum Ende des Kalifats, lassen sich mehrere Ausbauphasen und Änderungen im Bauprogramm des Palastbezirks ablesen. Doch viele Fragen zum architektonischen Programm sind bislang unbeantwortet.
Madīnat al-Zahrāʾ: Der in den 1980er Jahren teilrestaurierte Saalbau „Edificio Basilical Superior“ (CC BY, Heike Lehmann)
Das Projekt nimmt mit dem „Edificio Basilical Superior“ einen fünfschiffigen Saalbau des offiziellen Palastsektors in den Blick, dessen Bau- und Nutzungsgeschichte bislang kaum erforscht ist und dessen Grabungs- und Restaurierungsgeschichte viele Fragen aufwirft.
An diesem Gebäude, seinen Nebenbauten und Erschließungssystemen soll exemplarisch untersucht werden, wie sich das Selbstverständnis des Kalifen architektonisch und städtebaulich manifestierte, wie das in historischen Quellen überlieferte Hofzeremoniell räumlich inszeniert wurde und welche Erkenntnisse zur Herrschaftsausübung sich aus der Erschließung und Raumdisposition des Palastes ableiten lassen. Von besonderem Interesse sind Fragen zu baulichen Veränderungen im Zuge historischer Prozesse, wie der Verlagerung des kalifalen Amtssitzes von Córdoba nach Madīnat al-Zahrāʾ oder nach Machtwechseln innerhalb der umayyadischen Thronfolge.
Der Zustand des „Edificio Basilical Superior“ während der Ausgrabung durch Ricardo Velázquez Bosco 1918 (Memoria 1923)
Die komplexe Grabungs- und Restaurierungsgeschichte des Untersuchungsareals geht bis in das frühe 20. Jahrhundert zurück, jedoch fehlt bislang eine vollständige und detaillierte Bauaufnahme. Den Ausgangspunkt des neuen Projekts bildet deshalb die umfassende Dokumentation der Architektur.
Screenshot eines Structure-FromMotion-Modells des „Edificio Basilical Superior“ und der Nebengebäude (Arbeitsstand, © 2021, Madinat al-Zahra Projekt – TUB/UCO)
In Zusammenarbeit mit dem Departamento de Ingenería, Grafica y Geomaticá der Universität zu Córdoba werden dabei verschiedene Methoden der Vermessung kombiniert, mit einem Schwerpunkt auf dem Structure-from-Motion-Verfahren. Es entstehen klassische Bauaufnahmepläne mit Grundriss, Schnitt- und Ansichtszeichnungen sowie 3D-Modelle zur Überprüfung von Rekonstruktionsvarianten und Raumwirkungen
Madīnat al-Zahrāʾ: Album mit Dokumenten der Ausgrabung durch Ricardo Velázquez Bosco 1911-1923 (CC BY, Heike Lehmann)
Zur Aufarbeitung der Grabungs- und Restaurierungsgeschichte werden Dokumente in verschiedenen spanischen Archiven recherchiert und ausgewertet. Die zugehörigen, in den Museumsmagazinen von Madinat al-Zahra eingelagerten Funde und Bauteile sollen beschrieben, fotografiert und gezeichnet werden. Ihre Dokumentation liefert weitere Anhaltspunkte zur Raumkonzeption und zum Baudekor des Saalbaus.
Zur Klärung von Vorgängerbauphasen ist in Zusammenarbeit mit Arbeitsgruppe ‚ArchäoGeophysik‘ des Archäologischen Instituts zu Köln eine geophysikalische Prospektion geplant.
Madīnat al-Zahrāʾ: Blick durch das teilrekonstruierte Mittelschiff des „Edificio Basilical Superior“ (CC BY, Heike Lehmann)
Die Untersuchungen sollen in einem BIM zusammengeführt werden, was die Unterscheidung zwischen verschiedenen Bauphasen, die Trennung von Bestand und neuzeitlicher Rekonstruktion und die Überblendung mit alternativen Rekonstruktionsvorstellungen erlaubt.
Als Ergebnis des Projekts soll eine Studie zur architektonischen Konzeption und zu den Entwicklungsphasen des Palastkomplexes vorliegen, die sowohl eine wissenschaftliche Basis für den zukünftigen Umgang mit der Ruine liefert als auch zum Verständnis von Madīnat al-Zahrāʾ als Herrscherresidenz des 10. Jahrhunderts beiträgt.
Madīnat al-Zahrāʾ 2019: Bauaufnahmeübung in Rahmen einer International Summerschool des Deutschen Archäologischen Instituts Madrid (CC BY, Heike Lehmann)
Für Studierende besteht die Möglichkeit, als SHK am Fachgebiet im Projekt und insbesondere bei den Bauaufnahmekampagnen in Spanien mitzuarbeiten.
Projektleitung: Dr.-Ing. Heike Lehmann (TU Berlin, Fachgebiet Bau- und Stadtbaugeschichte)
Laufzeit: 6 Jahre, April 2020 bis März 2026
Finanzierung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 422590414
Partnerinstitutionen in alphabetische Reihenfolge:
Conjunto Arqueológico Madīnat al-Zahrāʾ
Deutsches Archäologisches Institut Madrid
Universidad de Córdoba